Das Team der hauptamtlichen MitarbeiterInnen mit OB Michael Kissel© Michael Kissel
Am 28. November kamen ehren- und hauptamtliche Mitarbeitende und UnterstützerInnen aus Wirtschaft und Politik zu einer Feier ins Café gleis 7. Aber ist dieses Jubiläum wirklich ein Grund zur Freude?
Eigentlich nicht, findet Caritasdirektor Georg Diederich. Dass Menschen bei uns aus dem System der Gesundheitsversorgung herausfallen können, dafür sei Deutschland schon von der UNO gerügt worden. Schwer vorstellbar in unserem reichen Land? Bei der Gründung des Gesundheitsladens habe man, so Georg Diederich, vor allem an Menschen ohne festen Wohnsitz gedacht. Wie etwa den 54jährigen Herrn B., der in einem von einem Ehrenamtlichen verlesenen Zitat schreibt: "Ich lebe seit fünf Jahren auf der Straße und habe keine Meldeadresse. Da ich nicht durchgängig bei der Krankenkasse gemeldet bin, habe ich Beitragsschulden und werde nur im Notfall medizinisch versorgt. Die Bürokratie ist ziemlich kompliziert."
"Was soll ich tun, wenn meine Kinder krank werden?"
Bald habe sich aber gezeigt, so Fachbereichsleiter Georg Bruckmeir, dass fehlende Gesundheitsversorgung Menschen aus vielfältigen Gründen treffe. Auch dazu lasen Ehrenamtliche Zitate von Betroffenen vor. Das eines 61jährigen Selbständigen etwa: "Jahrelang war ich in einer privaten Krankenversicherung. Als die Beiträge irgendwann auf fast 1000 Euro im Monat gestiegen waren, konnte ich mir das nicht mehr leisten. In eine gesetzliche Krankenversicherung komme ich nicht mehr, da ich älter als 55 bin." Oder das einer Mutter von zwei Kindern aus Bulgarien, die als EU-Bürgerin hier zwar leben und arbeiten darf, wie viele andere aber keinen Krankenversicherungsschutz hat. Sie fragt: "Was soll ich tun, wenn meine Kinder krank werden?"
Mehr Menschen als zu Beginn kommen in den Gesundheitsladen
Die Gründe, in den Gesundheitsladen zu kommen, sind also vielfältiger als zu Beginn erwartet. Und auch die Zahl der Menschen ist gestiegen: von durchschnittlich drei pro Sprechstunde zu Projektbeginn auf acht bis neun in diesem Jahr. Doch der Auftrag, so Georg Bruckmeir, ist gleich geblieben: Jeden Mittwochnachmittag findet eine kostenlose medizinische Sprechstunde im Gesundheitsladen im Radgrubenweg statt, im Wechsel ehrenamtlich getragen von sieben Ärzten, sechs Pflegekräften und einer Arzthelferin und unterstützt von Fachärzten in 18 niedergelassenen medizinischen Praxen. Hinzu kommt aufsuchende Arbeit in der Obdachlosenunterkunft und der der Nichtsesshaftenherberge des DRK. Ein Kinderarzt versorgt bei Hausbesuchen Neugeborene und Kinder.
Über die medizinische Hilfe hinaus ist auch die Reintegration ins Gesundheitssystem ein wichtiges Ziel der Arbeit. Dazu beraten im Wechsel die Projektleiterin des Gesundheitsladens Angelika Ernst-Auer aus der Suchtkrankenhilfe und Tanja Lemper aus der Sozialberatung.
Das Team der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen© Michael Kissel
Rote Rosen als Dank für den großen Einsatz
Viele Menschen sind es also, die durch ihren gemeinsamen Einsatz diese Arbeit ermöglichen. Alle anwesenden Ehren- und Hauptamtlichen erhielten zum Dank für ihr tatkräftiges Engagement rote Rosen. Georg Diederich: "... im Zeichen der Elisabeth von Thüringen - als Zeichen der Zuwendung zu den Armen."
Armut macht krank - und Krankheit macht arm.
Sehr eindrücklich berichtete die Mitbegründerin des Projektes Dr. Eva Hess aus ihrer Arbeit, zu der neben Menschen mit akuten Erkrankungen genauso wie in anderen Arztpraxen auch viele mit psychosomatischen und chronischen Erkrankungen oder Krebs gehörten. Vieles werde über die eigentliche Sprechstundenzeit hinaus geleistet - etwa die Begleitung von Menschen beim Sterben. Nachdrücklich wies sie immer wieder auf den engen Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit hin: Noch immer hätten arme Menschen in unserem Land eine deutlich geringere Lebenserwartung als besser Verdienende: "Armut macht krank - und Krankheit macht arm." Erschüttert sei sie immer wieder darüber, wie schnell man in Sackgassen gerate, wenn man Menschen ins Gesundheitssystem zurückzubringen versuche.
Was müsste geschehen?
Diesen Aspekt griff auch Georg Bruckmeir bei seinen Vorschlägen an die Politik auf. Da bürokratische Hürden viele Betroffene überforderten, brauche man Clearingstellen, um zu prüfen, ob Anspruch auf Leistungen im regulären Gesundheitssystem bestehe. Wichtig seien auch ein bundesweiter Gesundheitsfond für nicht versicherte Kranke und die Abschaffung des Leistungsausschlusses für hier lebende EU-BürgerInnen.
Nein, ein Grund zum Feiern ist es nicht, dass es den Gesundheitsladen geben muss. Feiern, so Georg Diederich, könne man allerdings das umfassende Netzwerk aus ehren- und hauptamtlicher Hilfe, das entstanden sei. Zu den ehrenamtlich arbeitenden medizinischen Fachkräften kämen noch Apotheken, Spender, Sponsoren, medizinische Hilfsprojekte in der Region und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Kommunalverwaltung. Ihnen allen sprach er seinen herzlichen Dank aus. Und auch OB Kissel stellte die Unterstützer ins Zentrum seines Grußwortes: "Wir alle können stolz auf dieses Engagement sein." Dass Menschen tätig werden, wenn andere Hilfe brauchen, sei für ihn ein Qualitätsmerkmal des Zusammenlebens in unserer Stadt, das er mit einer Spende von 5000,- Euro aus einem Spendenfonds der Wormser Wirtschaft für soziale Zwecke würdigte.
Musikalisch begleitet wurde die Feier vom Sänger und Gitarristen Rolf Bachmann - ehrenamtlich.
Zur Info: Rechtliche und finanzielle Grundlagen
Dem Gesundheitsladen wurde durch die Kassenärztliche Vereinigung Rheinhessen eine Institutsermächtigung zur hausärztliche Versorgung und Betreuung von obdachlosen Menschen erteilt. Diese wird immer wieder befristet, aktuell bis 30.09.2020. Damit können Leistungen kassenärztlich abgerechnet werden, soweit Krankenversicherungsschutz besteht. Dies deckt einen Teil der laufenden Kosten für Miete, Strom, Gebühren, Laborkosten, Medikamente und Hilfsmittel. Der Gesundheitsladen arbeitet ohne staatliche oder kommunale Zuschüsse, er wird neben den Krankenkassenvergütungen finanziell getragen durch den CV und vor allem auch durch Spenden.