"Eines nachmittags kam unsere Bürgermeisterin mit einer Familie aus Syrien zu mir. 'Die brauchen jetzt unsere Hilfe und alleine schaffe ich das nicht', sagte sie." So begann Gertrude Weisgerbers Engagement für Flüchtlinge im rheinhessischen Wallertheim. Seit 2015 hat sie unzählige Stunden damit zugebracht, die vierköpfige Familie und viele weitere Menschen beim Ankommen zu unterstützen.
"Wir mussten doch auf die Menschen zugehen."
Für Frau Weisgerber lag auf der Hand, was zu tun war. Genauso, wie für Astrid Möllenkamp, als sie in Schornheim neue Gesichter auf der Straße sah: "Wir mussten doch auf die Menschen zugehen. Wir konnten sie schließlich nicht sich selber überlassen." Auch, als in Sandra Bloths Nachbarhaus in Saulheim alleinstehende Männer aus dem Iran einzogen, ging sie einfach hin. Irgendwie gelang die Verständigung "...mit Händen und Füßen... und google-Übersetzungen."
Die drei Frauen und viele weitere Ehrenamtliche in der Verbandsgemeinde (VG) Wörrstadt halfen bei der Suche nach Wohnungen oder Kitaplätzen und bei den ersten deutschen Sätzen, sie organisierten Fahrdienste zu Sprachkursen und begleiteten zu Ämtern und Ärzten. Wenn nötig, packten sie auch beim Reinigen und Renovieren an denn der Zustand mancher Wohnungen sei "zum Schämen" gewesen.
Vieles meisterten sie mit Tatkraft, Kreativität und Lebenserfahrung. Doch oft wussten auch sie nicht weiter. Gertrude Weisgerber: "Es kamen amtliche Schreiben, die ich selber nicht ganz verstand... plötzlich änderten sich Mietüberweisungen vom Jobcenter... oder Fristen liefen ab." Auch das Zusammenleben blieb nicht konfliktfrei. Oft waren die Ehrenamtlichen dann Ansprechpartner für die Alteingesessenen. Hinzu kamen Spannungen in den Unterkünften.
Ein nicht endender Strom neuer Aufgaben und Herausforderungen
Das schiere Ausmaß der Aufgaben und der nicht endende Strom neuer Herausforderungen brachten sie mehr und mehr an ihre Grenzen. Sie selber und auch die inzwischen rund 400 Flüchtlinge in 60 Unterkünften der VG brauchten dringend hauptamtliche Unterstützung in der Nähe und setzten sich bei Bürgermeister Markus Conrad und dem Verbandsgemeinderat dafür ein. Mit Erfolg: Kurz vor Weihnachten 2015 wurde hierzu die Zusammenarbeit mit dem Caritasverband Worms beschlossen.
Im Februar 2016 konnte die Sozialpädagogin Andrea Rinke-Bachmann ihre Arbeit aufnehmen. Endlich war jemand da - zu festen Zeiten erreichbar in einem Büro in der Neubornschule Wörrstadt und darüber hinaus übers Handy. Das seitdem sehr oft klingelt.
Sie berät sowohl Flüchtlinge als auch Ehrenamtliche, hilft bei Behördenangelegenheiten und berät in Krisen und Konflikten. Durch ihre vermittelnde Zusammenarbeit mit der Verbandsgemeinde kann sie oft zu schnellen und unbürokratischen Regelungen beitragen. Sie koordiniert und stellt Kontakte her, bietet Ehrenamtlichen regelmäßige Gruppentreffen zur Reflexion ihrer Erfahrungen, Seminare zu sozial- und asylrechtlichen Fragen, zur Wohnungssuche, zum Zugang zu Arbeit und Ausbildung, zu wertschätzender Kommunikation, kulturellen Themen und vielem mehr. Sie weiß um die seelischen Verwundungen und Belastungen der Flüchtlinge und auch darum, wie schwer es Ehrenamtliche oft haben, die Balance zwischen dem eigenen Leben und ihrem Engagement zu finden. Sie hört zu, unterstützt und übernimmt Aufgaben. "Manchmal fotografiere ich die Briefe und schicke sie Frau Rinke-Bachmann...", so Frau Weisgerber, "...ohne sie hätte ich mir schon längst den Frust geholt." Und sie ist auch dann zur Stelle, wenn eine "Rückführung" unabänderlich entschieden ist "...damit die Menschen wenigstens richtig Abschied nehmen können - auch die, die hier zu Freunden wurden."
Und jetzt? Wie ist - nach unzähligen Stunden des Einsatzes und der Bemühungen aller Beteiligten - die Lage in Wörrstadt und den umliegenden zur VG gehörenden Orten?
Beziehungen sind gewachsen
Für Astrid Möllenkamp ist aus dem Ehrenamt ein Teil ihres Lebens geworden. Menschen, die sie anfänglich aus Engagement unterstützte, sind ihr nun auch ans Herz gewachsen. Wie B., eine alleinerziehende Mutter aus Somalia, die ihr zur Freundin wurde und deren Kinder bei ihr ein- und ausgehen, als gehörten sie zur Familie. Inzwischen, sagt sie schmunzelnd, sei sie in fünf Whatsapp-Gruppen von Eltern Fußball spielender Kinder, mit denen sie sich die Fahrdienste teile.
Der Vater der syrischen Familie aus Wallertheim kann von einen Minijob vermutlich bald in eine Vollzeitstelle wechseln. Seine Frau arbeitet im Rahmen eines Ein-Euro Jobs im Kindergarten, hilft in der Gemeinde und auf einem Weingut und möchte sich zur Erzieherin ausbilden lassen, wofür sie allerdings noch einmal ein Jahr zur Schule muss, da ihr syrischer Schulabschluss hier nicht anerkannt wird. Frau Weisgerber: "Im Lauf der Zeit ist aus dem Ehrenamt ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Familien entstanden." Auch andere Menschen, die vor wenigen Jahren noch kein Wort Deutsch sprachen, beteiligen sich aktiv am Gemeindeleben, besuchen Feste und packen mit an, so sie gebraucht werden.
Also alles gut mit der Integration in der Verbandsgemeinde Wörrstadt?
Einiges ist gelungen - und Vieles bleibt noch zu tun. Doch ohne Menschen, die auf andere zugehen, die bereit sind, andere an ihrem Leben teilhaben zu lassen und den Mut zu Freundschaft und Vertrauen haben - ohne sie ist Integration vollkommen undenkbar. Persönliche Beziehungen können nur wachsen, wenn sie auch Freude bereiten. Sich um andere "zu kümmern", vor immer neue Anforderungen gestellt zu werden - meist überfordert und belastet das nach einiger Zeit. Frau Möllenkamp: "Um dranbleiben zu können, muss auch die Chemie zwischen den Menschen stimmen - und die Aufgaben müssen einem liegen." Dazu muss sich die Verantwortung auf möglichst viele Schultern verteilen. Mehr "patenschaftliche" Kontakte von Familie zu Familie, von Mensch zu Mensch werden gebraucht.
Weiterhin kommen komplizierte Briefe, "..die auch Deutsche kaum ohne Beratung verstehen würden...," sagt Frau Möllenkamp, "...gut, dass wir da Frau Rinke-Bachmann anrufen können." Sandra Bloth hat die gesetzliche Betreuung eines psychisch beeinträchtigten Mannes aus Afghanistan übernommen, für den sie nun fast täglich da ist. Für viele weitere bleibt sie Vertrauensperson und Vermittlerin zu Behörden. Und wie Astrid Möllenkamp und Gertrude Weisgerber hat auch sie eine eigene Familie und einen Beruf.
Wohnungen für Geflüchtete zu finden bleibt schwierig. Mehr Werbung dafür, z.B. von Menschen, die hier einen Namen haben - das fänden die Ehrenamtlichen hilfreich; wie auch eine "Börse" im VG-Blatt für alles, was gebraucht wird: Zeit, Unterstützung, "Patenschaften".... Es bleibt also viel zu tun. Für alle. Auch für Andrea Rinke-Bachmann.