v.l.n.r.: Dr. Rüdiger Gaase, Veronika Heck–Klassen, Petra Steinbrede, Adele Kammerschmitt, Florian Fauth Georg Bruckmeir, Thomas Jäger, Jörg Stefan© Patricia Mangelsdorff
"Wir sind froh, dass wir nicht vor dieser Entscheidung standen." Florian Fauth meint damit nichts Geringeres als die Frage, ob sein jetzt 5jähriger Sohn Jonathan zur Welt kommen durfte. Jonathan hat das Down-Syndrom, hervorgerufen durch Trisomie 21. In jeder seiner Zellen ist das 21. Chromosom drei- statt zweimal vorhanden. Mit seinem Bruder Jakob und den Eltern wächst er auf einem Westhofener Weingut auf, "...genauso neugierig und frech wie andere Kinder auch...", sagt seine Mutter Katja in einem Beitrag des SWR. Erfahren haben Katja und Florian Fauth von dieser Abweichung des Erbgutes erst kurz nach der Geburt. Das sei natürlich ein großer Schock gewesen, sagt Vater Florian im Gespräch beim Caritasverband. Anders als viele andere Eltern standen sie aber nicht schon während der Schwangerschaft vor einer Frage von eigentlich unfassbarer Wucht: Soll unser Kind mit einem Down Syndrom zur Welt kommen?
Aufgrund der vorgeburtlichen Medizin wächst unser Wissen über ungeborene Kinder. Für Mütter und Neugeborene kann das ein Segen sein. So können z.B. Herzfehler schon während der Schwangerschaft erkannt werden. Das ermöglicht eine erheblich bessere Versorgung des Kindes während und nach der Geburt. Aber unser wachsendes Wissen hat auch Schattenseiten. Und die gehen uns alle an.
Trisomie 21 kann ganz verschiedene Folgen haben. Größe, Gewicht und Kopfform sind z.B. oft betroffen, Herzfehler oder Magen- und Darmstörungen treten häufiger auf als bei anderen Menschen. Die geistigen Fähigkeiten von Menschen mit dem Down-Syndrom reichen von fast durchschnittlicher Intelligenz bis hin zu schwerer Behinderung. Reguläre Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft können Hinweise auf diese oder andere Chromosomenabweichungen geben. Vor Jonathans Geburt ergaben die Bilder allerdings keinerlei Abweichungen. "Jonathan...," sagt sein Vater mit einem Schmunzeln, "...war ein Meister der Tarnung."
Es gibt auch ein Recht auf Nicht-Wissen
Was aber geschieht, wenn sich aus den Bildern Verdachtsmomente ergeben? Da sie, wie der Wormser Frauenarzt Dr. Rüdiger Gaase betont, keine sicheren Aussagen über das Erbgut des Kindes erlauben, können dann weitere Untersuchungen und Tests durchgeführt werden. Können, müssen aber nicht, denn ebenso wie das Recht zu wissen haben Eltern eben auch ein Recht auf Nicht-Wissen.
Diagnose - und was dann?
"Spätestens hier brauchen Eltern eine umfassende Beratung," sagt Veronika Heck-Klassen, Referentin für Familienhilfe im Caritasverband für die Diözese Mainz. Denn es klingt zwar zunächst einleuchtend, mehr Gewissheit zu wollen. Aber was dann? Weiterführende Ultraschalluntersuchungen können zwar mehr Informationen liefern - wirklich zuverlässig hinsichtlich des Erbgutes sind aber nur die Entnahme von Fruchtwasser oder von Gewebe des Mutterkuchens. Beide erhöhen allerdings das Fehlgeburtsrisiko erheblich.
Dennoch entscheiden sich bei einem Verdacht die allermeisten werdenden Mütter und Eltern dafür. Meist fällt der genetische Befund dann beruhigend aus. Aber was, wenn tatsächlich eine Trisomie 21 oder eine andere Abweichung vorliegt? Therapieren kann man sie nicht. Und über den Grad der Beeinträchtigung des Kindes sagt der genetische Befund nichts aus. Adele Kammerschmitt vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF): "Ob das Kind leiden muss oder fröhlich durchs Leben geht, davon haben wir auch nach einer Diagnose keine Ahnung."
Sie kennt die Not vieler Eltern. Seit 2008 berät sie in einem Kooperationsprojekt zwischen der Universitätsklinik Mainz und dem SkF betroffene Mütter und Paare. Weit über die Geburt des Kindes hinaus begleitet sie die Familien. Auch, wenn sich Eltern gegen das Kind entscheiden, ist sie nach diesem schweren Schritt für sie da. "Oft..", so ergänzt Veronika Heck-Klassen, "...fallen die Frauen in eine Depression. Wie auch immer man sich entscheidet: es braucht eine Versöhnung damit, und dabei unterstützen wir Eltern."
Sich einfach auf das Kind freuen - das wird heute immer schwieriger für Frauen.
Für den Abbruch der Schwangerschaft entscheiden sich bei der Feststellung einer Trisomie 21 über 90 Prozent der Eltern. Und alle Gesprächsteilnehmer dieses Nachmittags sind sicher: Je weiter sich die Pränataldiagnostik entwickelt, desto mehr wächst der Druck auf Eltern, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Es gäbe schon fast eine gesellschaftliche Grundhaltung, die sagt: 'Ein Kind mit Down-Syndrom - das muss doch heutzutage nicht mehr sein.' "Immer mehr Frauen...", so Frau Heck-Klassen, "... können erst nach einer sie beruhigenden Diagnose eine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen und sich darauf freuen."
Wir wollen immer mehr Kontrolle und Perfektion.
Mehr und mehr wollen wir alles perfekt kontrollieren und planen. Die medizinische Entwicklung fördert diese Illusion: In der nicht-invasiven Pränataldiagnostik (NIPD) bestimmen ungefährliche Bluttests bei der Mutter das Risiko einer Trisomie 13, 18 oder 21 mit bis zu 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit. So sicher wie die Entnahme von Fruchtwasser oder Plazentagewebe ist ihr Ergebnis damit nicht; aber sie erhöhen eben auch nicht das Risiko einer Fehlgeburt. Zur Zeit müssen Frauen diese Tests noch selber bezahlen. Es wurde aber beantragt, sie als allgemeine Versorgungsleistung der Krankenversicherungen anzuerkennen. BeraterInnen sind überzeugt, dass dann weitaus mehr Schwangere diese Leistung in Anspruch nehmen würden. In unserer Gesellschaft wächst das Streben nach einem perfekten Körper und größtmöglicher Funktionstüchtigkeit immer weiter. Würden dann nicht noch mehr Frauen als bisher aufgrund des Verdachts auf eine Anomalie ihr Kind abtreiben? Womöglich, ohne eine Beratung in Anspruch genommen zu haben? Würden dann Menschen mit einer Trisomie 21 aus unserer Gesellschaft nahezu verschwinden?
Aufgrund dieser Befürchtungen, so Frau Heck-Klassen, sei der Caritasverband für die Diözese Mainz gegen eine Kassenzulassung dieser Bluttests. Stattdessen möchten Caritas-BeraterInnen dazu ermutigen, Beratungsangebote zu nutzen. Petra Steinbrede von der Schwangerschaftsberatung des Wormser Caritasverbandes: "Das macht natürlich die Entscheidung nicht einfacher. Aber wir möchten Frauen und Paaren Raum und Zeit geben, alles bedenken und sie vor allem nicht alleine lassen.... eigentlich.." so fügt sie hinzu, "...ist diese Entscheidung für einen Menschen zu groß..."
Die gesellschaftliche Antwort kann nur Inklusion sein!
Für Jörg Stefan und seine Frau war aufgrund ihres Glaubens klar, dass sie keine genetische Untersuchung wollten. Dennoch war es auch für sie ein großer Schock, nach der Geburt ihres jetzt zehnjährigen Sohnes von seinem Down-Syndrom zu erfahren. Jörg Stefan ist sicher, dass sich die Entwicklung der Pränatalen Diagnostik nicht aufhalten lässt - und dass deshalb die gesellschaftliche Antwort nur die Verstärkung der Inklusion sein kann. Dafür macht er sich gemeinsam mit anderen Eltern im Verein "Gemeinsam Leben - Worms-Wonnegau" stark. Wir alle brauchen die unmittelbare Erfahrung des Zusammenseins mit Menschen "..die einfach anders sind...". Für ihn wie für Familie Fauth ist ein Leben ohne ihre Kinder einfach unvorstellbar. Die Winzerfamilie schreibt deshalb auch auf Etiketten ihrer Weinedition "same same but different", deren Erlös Projekten für Menschen mit Down-Syndrom zugute kommt: "Wie langweilig wäre das Leben, wenn nicht ab und zu ein paar von uns aus der Reihe flattern würden. Mit seiner Individualität macht jeder Einzelne von uns die Welt ein bisschen bunter. Die Hauptsache ist doch, dass jeder die gleichen Chancen hat."
Text und Bild
Patricia Mangelsdorff, freie Autorin und Journalistin