In der Caritas Spiel- und Lernstube im Nordend ist das fester Bestandteil des Vertrages mit den Familien, deren Kinder hierher zur Hausaufgabenbetreuung kommen. Und zwar jedes Jahr einmal.
© Patricia Mangelsdorff
Sechs sieben- bis neunjährige Mädchen und Jungen und drei Erwachsene sitzen im Kreis. Zwischen ihnen wächst ein Netz aus Wollfäden. Wer das Knäuel fängt, erfährt vom Absender etwas Gutes über sich: "Ich werfe dir das zu, weil ich dich mutig finde..." oder "...weil man mit dir gut lachen kann." Dann wirft er es weiter - und sagt selber etwas Anerkennendes. Immer dichter spannt sich das Netz kreuz und quer durch den Kreis, denn beim Werfen behält jeder den Faden in der Hand. Als Trainer Johannes Greif das Knäuel fängt "...weil es bei ihm Spaß macht...", beendet er die Übung. Gemeinsam legen es alle auf den Boden. "Warum ist so ein Netz gut?" fragt Greif. Die Antworten kommen prompt: "...Weil man sich damit verbündet.." und "...so gehören wir mehr zusammen..."
Die Stärken anderer zu sehen, kann man üben.
Wie wäre es für die meisten von uns, ein paar Minuten lang nur Anerkennung hören? Und zwar ehrlich gemeinte - denn hier geht es nicht ums Schmeicheln, sondern darum, Positives an anderen wahrzunehmen. Ungewohnt wäre es wohl, denn Wertschätzung steht ja nicht gerade hoch im Kurs in unserer "Leitkultur." Viel vertrauter ist es, Kritik und Abwertung zu erfahren - und selber zu verteilen. "Jeder Mensch hat Stärken... Seiten, mit denen er anderen Freude macht. Wir nehmen die nur oft nicht wahr. Aber das kann man üben," sagt Johannes Greif.
Gefühle bewusst wahrnehmen.
Die Wahrnehmung zu trainieren ist zentraler Bestandteil dieses ersten Kurses in Sozialer Kompetenz, auf dem nun für die "Hausaufgabenkinder" in jedem weiteren Schuljahr aufgebaut wird. Dabei geht es vor allem um Gefühle. Greif: "Angst, Wut, Freude oder Trauer bei sich wahrzunehmen und zu erkennen, ist die Basis einer guten Begegnung mit anderen. Nur so kann ich Gefühle auch anerkennen und aussprechen, anstatt unbewusst von ihnen gesteuert zu werden."
Die Gruppe mit ihren Urkunden. Im Hintergrund v.l.: Caritasmitarbeiterinnen Denise Schreiber und Cornelia Wagner, Jan Fetsch (FSJ) und Trainer Johannes Greif© Patricia Mangelsdorff
"Soziale Kompetenz"- der Begriff klingt immer noch sperrig und ein wenig blutleer. Dabei geht es um ganz praktisches Handwerkszeug für den Alltag. Spielerisch und mit verschiedenen Methoden lernen die Kinder, auch mit unangenehmen Gefühlen bewusst umzugehen. Caritasmitarbeiterin Denise Schreiber: "Wenn wir z.B. wissen, was bei uns Wut auslöst und wie sie sich im Körper anfühlt, können wir lernen, uns nicht von ihr überwältigen zu lassen. Das hilft, ruhiger zu bleiben."
Warum schämt man sich?
An diesem fünften Trainingstermin geht es um ein Gefühl, mit dem viele Menschen es besonders schwer haben: Scham. "Wie fühlt sich Scham im Körper an? Wie bewegt ihr euch, wie sprecht Ihr...?" fragt Greif. Arme fliegen hoch, fast alle wollen etwas sagen. "Der Kopf wird rot... und heiß.. ich rede dann ganz leise... hab auch schon mal gestottert." Ein paar Kindern gehen mit gesenktem Kopf durch den Raum, ziehen die Schultern hoch. Nächste Frage: "Warum schämt man sich eigentlich?" Wieder prasseln die Antworten: "...weil man neu irgendwo ist.. ...etwas falsch gemacht hat.... vor vielen Leuten etwas sagen muss... eine Antwort nicht weiß." Und immer wieder kommt: "..weil man ausgelacht wird..." Fast alle kennen das. Und für manche scheint es auch zu beschämend zu sein, über ihre Scham zu sprechen. Auch das ist hier ganz in Ordnung. Hier gibt es kein Richtig oder Falsch. Und wer nicht möchte, muss gar nichts sagen.
Ein starkes Ich ist gut für das Miteinander.
"Und wie wird sie weniger?" "Dem anderen sagen, er soll still sein... Hilfe holen... aussprechen, dass man sich schämt." "Ich hab mich mal sehr geschämt," erzählt ein Mädchen, "und dann habe ich ganz lange mit meiner Freundin gespielt. Danach war es viel besser..." Auch darum geht es immer wieder und mit verschiedenen Methoden: Was macht dir Freude? Wovon träumst du? Was kannst du gut? Heute malen die Kinder dazu ein Wappen und stellen es den anderen vor. Greif: "Alles, was das Ich und die Persönlichkeit stärkt, ist gut für das Miteinander."
Schule, Hausaufgabenbetreuung, das eineinhalbstündige Training - die Kinder haben einen langen Tag hinter sich, als Johannes Greif kurz vor 17 Uhr die Abschlussfrage stellt: "Was fandet ihr heute gut?" "..dass wir das mit dem Netz gemacht haben... über Gefühle reden... über Scham... und über Glück." Und ganz wichtig: "...dass wir eine Pause hatten!"
Text und Bild: Patricia Mangelsdorff, freie Mitarbeiterin des Caritasverbandes Worms e.V.